12.05.2015
Ihr Blickwinkel ist ein anderer. Wenn jedermann eine Straße sieht, erblickt sie darin einen Teil des Verkehrsstromes: Gisela Schneider ist als Betriebsleiterin in der Kreisstadt zuständig für die Verkehrsplanung. Und damit auch für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Als die gelernte Bauingenieurin 1992 von Stade nach Bad Hersfeld kam, sah es hier noch sehr viel anders aus. Vor dem blauen Haus am Linggplatz gab es Parkplätze. Die Breitenstraße hatte vor dem Haus André einen Wendehammer, der Bahnhofsvorplatz war heruntergekommen. Auf dem Stadtring fuhr man sprichwörtlich von Ampel zu Ampel, von einer Rotphase in die nächste.
Die Aufgabenstellung war entsprechend umfangreich: Die Verkehrsströme der Stadt so verändern, dass der Parksuchverkehr abnimmt und das Bus-System umstellen, um es aufzuwerten. „Bad Hersfeld platzte damals wegen des Individualverkehrs aus allen Nähten“, erinnert Gisela Schneider sich an diese spannende Zeit. „Man musste meistens sehr lange suchen, um einen freien Parkplatz zu finden. Es gab wirklich viel zu tun.“
Bei ihren Planungen stieß die Ingenieurin immer wieder auf Vorbehalte aus der Bevölkerung. „Ich kann das verstehen“, sagt sie rückblickend. „Wir Verkehrsplaner haben den Menschen immer wieder gesagt ,Nur diese eine Straße noch, und dann wird alles besser.´ Dabei wurde die Verkehrsbelastung für die Menschen immer größer. Es ist klar, dass man dann auf Misstrauen stößt, wenn man in einer Stadt vieles verändern will.“
Heute zeugt ein durchdachtes Verkehrssystem von der erfolgreichen Arbeit von Gisela Schneider und ihren Kollegen. Eine echte Revolution jedoch war die Einführung des Rendez-Vous-Systems der Stadtbusse, das im kommenden Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert. Rendez-Vous bedeutet: Alle Busse treffen an der Haltestelle Breitenstraße fast gleichzeitig ein, immer zur halben und zur vollen Stunde. Die Fahrgäste können hier aussteigen, umsteigen oder weiterfahren - ohne Probleme. Dadurch gibt es kurze Umsteigezeiten zwischen allen Linien.
„Bis 1996 war der Busverkehr in Bad Hersfeld sehr unüberschaubar“, sagt Gisela Schneider. „Es war schon schwierig, allein den Fahrplan zu lesen“, erinnert sie sich. Sie muss es wissen – Gisela Schneider nimmt, wann immer möglich, den Bus, um ihre Wege zu erledigen. „Es war mir damals klar, dass wir eine so einschneidende Veränderung nur gemeinsam mit den Unternehmen erreichen konnten“, sagt sie. Echte Überzeugungsarbeit musste aber nicht nur bei dem Busunternehmen geleistet werden, auch galt es, große Vorbehalte bei den Bürgern zu zerstreuen. Schließlich büßte die Innenstadt mit dem Umbau zahlreiche Parkplätze ein, und der obere Teil der Breitenstraße wurde zur verlängerten Fußgängerzone.
Rückblickend ist die Einführung des neuen Bussystems jedoch eine absolute Erfolgsgeschichte. „Zuvor war nur derjenige mit dem Bus gefahren, der überhaupt keine Alternative hatte. Bereits drei Jahre nach Einführung des Rendez-Vous-Systems hatten wir 40 Prozent mehr Fahrgäste. Zu dem Konzept gehörten modernste, umweltfreundliche Busse, die alle klimatisiert sind. Der Komfort in den Fahrzeugen ist höher als in so manchem Privat-PKW. Die Fahrpläne wurden vereinheitlicht und stark vereinfacht. Ein Kundencenter wurde eingerichtet, hessenweit das erste seiner Art. Und wir haben in der Stadt rund 70 zusätzliche Haltestellen eingerichtet“, sagt Gisela Schneider.
Auf einmal wurde es schick, Bus zu fahren. Seither nutzen Menschen aller sozialen Schichten den Bus, oftmals auch, weil es wesentlich günstiger ist, eine übertragbare Jahreskarte zu kaufen als den Zweitwagen für Stadtfahrten zu unterhalten. Für das Busunternehmen wurde das Rendez-Vous-System zu einem Volltreffer, genauso wie für die Bevölkerung.
„Im Rückblick bin ich den damaligen Gegnern des Systems außerordentlich dankbar“, sagt Gisela Schneider und lächelt. „Mehr PR hätte es überhaupt nicht dafür geben können. Die Bedenken, durch die einheitlichen An- und Abfahrtszeiten in der Breitenstraße würde die Verkehrsbelastung höher, hätten sich ebenfalls vollständig zerstreut. „Das Gegenteil ist der Fall. Die Anwohner haben konzentrierte Zeiten, aber die Gesamtbelastung durch die Busse ist seither erheblich gesunken.“
Doch nicht nur die Einführung des Stadtbus-Systems ist Teil der Erfolgsgeschichte von Gisela Schneider. Ob es die Planung von Verkehrskreiseln ist, ob der Umbau des Bahnhofsvorplatzes, den sie im Team mitverantwortet hat oder viele andere Dinge: Die Verkehrsplanerin hat der Stadt ihren Stempel aufgedrückt. Mit ihrer Arbeit hat sie vielen Menschen den Alltag erleichtert, ohne dass sie damit in Erscheinung getreten wäre.
Der große Auftritt in der Öffentlichkeit ist ohnehin nicht das Ding von Gisela Schneider. „Ich mache meine Arbeit, und das sehr gerne“, sagt sie in aller Bescheidenheit. Zukünftig, davon ist sie überzeugt, müsse der Fußgängerverkehr wieder verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden.