07.09.2022
Bis zum 31.12.2022 sollen Bund, Länder und Kommunen alle ihre Verwaltungsleistungen auch digital anbieten. So verlangt es das bundesweite „Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen“, kurz Onlinezugangsgesetz (OZG), das 2017 in Kraft getreten ist. In der Praxis bedeutet das konkret: Über 6.000 Verwaltungsleistungen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene, zusammengefasst in 575 OZG-Leistungsbündeln, müssen bis dahin digitalisiert werden.
Rund 150 der 575 OZG-Leistungen betreffen auch Dienstleistungen der Stadt Bad Hersfeld. Hier arbeitet der 26-jährige Richard Schöpgens als Digitalisierungsbeauftragter der Stadt zusammen mit den Fachbereichen an der OZG-Digitalisierung – und ist guter Dinge, das Ziel am Jahresende auch zu erreichen!
„Rund 100 der Prozesse sind schon geprüft und entsprechend umgesetzt, 30 werden wir noch im letzten Quartal digital aufbauen.“ so Schöpgens. Für die letzten 20 Verwaltungsleistungen, für die im OZG eine Digitalisierung vorgesehen ist, greift eine gesetzliche Ausnahmeregelung: „Sie kommen in Bad Hersfeld gar nicht oder nur ein- bis zweimal im Jahr vor, so dass eine komplette Digitalisierung auch langfristig viel mehr Aufwand als Nutzen erzeugen würde. Sollte sich das ändern, werden wir die Prozesse bei diesen Exoten noch nachziehen.“
Die Dauerbrenner der am meisten nachgefragten Verwaltungsleistungen sind vor allem beim Bürgerbüro und dem Standesamt, in den Bauabteilungen, bei den Kindertagesstätten und den Ordnungsdiensten verortet. Personalausweise, Reisepässe, Führungszeugnisse, Beglaubigungen, Genehmigungen, An- und Abmeldungen, Steuerbescheinigungen u.ä. sind die Klassiker des Verwaltungsgeschäftes, die jetzt digital neu zur Verfügung stehen sollen – soweit es die jeweiligen Rechtsvorschriften erlauben.
Hier heißt es für Schöpgens selbst in Bewegung zu bleiben. Denn es gilt, sich vor Ort die Abläufe anzusehen, Schnittstellen zu besprechen oder mit den Kolleginnen und Kollegen Informationstexte für die späteren Onlinedienste zu erstellen. Schöpgens stellt klar: „Ohne deren Kooperationsbereitschaft liefe die Sache nicht!“
Auch wenn die Stadtverwaltung Bad hersfeld damit zum 31. Dezember die Mindestanforderungen des Onlinezugangsgesetzes erfüllen wird – die Arbeit daran wird auch danach weitergehen. „Die OZG-Digitalisierung dient in erster Linie dazu, Verwaltungsabläufe für die Bürgerinnen und Bürger einfacher und schneller zu machen. Nach den ersten Praxistests im nächsten Jahr werden wir dies sicher weiter optimieren. “
Ein letzter Aspekt liegt dem Prozessdesigner Schöpgens aber genauso am Herzen: „.Zugleich sollen die neuen digitalen Zugänge aber auch die Verwaltungsarbeit selbst vereinfachen und verbessern. Unser Ziel für die Zukunft ist ein automatisierter Workflow in möglichst vielen Bereichen der Stadt. Dafür haben wir die jetzt gebauten OZG- Prozesse schon ausgelegt.“
Mit der OZG-Bilanz für die Kreisstadt ist Richard Schöpgens bisher sehr zufrieden. Und auch Bürgermeister Thomas Fehling, der die Einführung eng begleitet hat, pflichtet ihm bei: „Wir in Bad Hersfeld können den Fahrplan einhalten, weil wir seit fast 10 Jahren kommunale Digitalisierungs- und Smart-City-Projekte umsetzen und schon entsprechendes personelles Knowhow und notwendige IT-Strukturen implementiert haben. Vor dem OZG haben wir bereits über 30 kommunale Dienstleistungen in unserem „Rathaus Online“ in eigener Regie digitalisiert. Und schließlich wir haben eigens einen hauptamtlichen Koordinator für die OZG-Aufgaben eingestellt - eben Richard Schöpgens, der hier mit den Kolleginnen und Kollegen in den Fachbereichen einen tollen Job macht.“
Bundesweiter Vergleich
Wie ungewöhnlich gut die OZG-Umsetzung in Bad Hersfeld dasteht, zeigt der nationale Vergleich.
Das OZG-Modell unterscheidet die Online-Verfügbarkeit in vier sogenannte Reifegrade: Von „die Leistung ist ausschließlich offline verfügbar (Stufe 0)“ bis „die Leistung kann komplett digital durchgeführt werden (Stufe 4)“.
Trotz einer fünfjährigen Einführungsphase von 2017 bis 2022 war sich der Nationale Normenkontrollrat schon im September 2021 mit Hinweis auf die fehlenden Personalressourcen bei den Kommunen sicher: Die geplante Umsetzung des OZG ist bis Ende 2022 nicht zu schaffen!
Die Experten werden Recht behalten. Auch jetzt, fast ein Jahr später, sind die Umsetzungszahlen bundesweit noch nicht berauschend:
- 207 Verwaltungsleistungen (also rund 36%) haben die Stufe 1 (Bürgerangaben im „Reifegrad einer PDF-Datei“) noch nicht überschritten.
- 143 der angestrebten 575 Verwaltungsleistungen (25%) sind online verfügbar (Stufe 2).
- In der Stufe 3 können digital, einschließlich aller Nachweise und Bescheide für die Bürger*innen, zu dem Zeitpunkt 49 OZG-Leistungen (rund 8,5%) abgewickelt werden.
- Die OZG-Informationsplattform zeigte im August 2022 jedoch keine Verwaltungsleistungen der höchsten Stufe 4 an.
- Die Null steht somit auch bei den restlichen 30% der geplanten OZG-Leistungen: Sie stehen nach wie vor nicht digital zur Verfügung.
Fehling abschließend: „Wieder ist eine große Digitalisierungsstrategeie des Bundes krachend gescheitert. Wir sind froh, dass wir dieses Desaster für uns abwenden konnten. Weitgehend unvorbereitete öffentliche Verwaltungen wurden hier mit neuen nationalen Normen konfrontiert; mal wieder werden die Ärmel anderer Leute hochgekrempelt, insbesondere die der Kommunen. Der damalige Wirtschaftsminister hatte 2017 bei der OZG-Einführung noch gewettet, dass Deutschland bis 2021 die bürger- und anwenderfreundlichste Verwaltung Europas haben würde. Er sei sogar bereit, zwölf Flaschen seines guten Grauburgunders darauf zu verwetten. Na, die Pullen sind wohl futsch – während wir wohl als eine von sehr, sehr wenigen Kommunen die Sektkorken auf unseren Erfolg knallen lassen.“