16.06.2020
Auf Initiative von Bürgermeister Thomas Fehling hat der Magistrat der Stadt in seiner gestrigen Sitzung das Thema „Ausgründung der Bad Hersfelder Festspiele in eine gemeinnützige GmbH (gGmbh)“ auf die politische Reise geschickt. Der städtische Aussschuss für Bildung und Kultur, der Haupt- und Finanz-ausschuss sowie die Stadtverordnetenversammlung werden sich nun in den nächsten Tagen erneut damit befassen. Fehling erläutert seine Beweggründe:
„Seit ich Mandatsträger in Bad Hersfeld bin (2006) erlebe ich die Situation, dass im Sommer der Spielplan des Folgejahres bekanntgegeben und erst Monate später der dazugehörige Haushalt beschlossen wird. Die Verantwortlichen (insbesondere der Intendant) lehnen sich jedes Jahr „sehr weit aus dem Fenster“ und müssen darauf hoffen, dass ihnen das erforderliche Budget dann später genehmigt wird. Diese Konstellation (Umsetzung vor Wirtschaftsplan) habe ich in meinen 25 Jahren Tätigkeit in der Privatwirtschaft nirgends sonst wahrgenommen.
Dass dieses Konstrukt bisher überhaupt funktionierte, lag daran, dass alle drei Intendanten, die ich als Bürgermeister bisher begleitete (Freytag, Dr. Wedel und Hinkel), bereits weit im Voraus Planungen vollzogen und dabei mündliche Verabredungen mit zahlreichen Beteiligten trafen. Sie haben dabei ihren guten Namen und ihr Ehrenwort eingesetzt, um Künstler, Autoren, Techniker u.a. rechtzeitig für ein Engagement bei den Bad Hersfelder Festspielen zu gewinnen. Schriftliche Verträge sind dann regelmäßig erst deutlich später erstellt worden. Bisher wurde dieses Vorgehen immer dadurch „geheilt“, indem die Stadtverordnetenversammlung die Mittel nachträglich genehmigte.
Dieses Jahr ist erstmals eine neue Situation entstanden, indem die Fraktion NBL/Die Grünen den Beschluss für die „faire Vertragsauflösungen“ nach der diesjährigen Festspielabsage (insbesondere die mündlichen Vereinbarungen) bei der Kommunalaufsicht zur Prüfung auf Rechtmäßigkeit vorlegte.
Somit steht nun verschärft die Frage im Raum, ob bzw. welchen verpflichtenden Charakter mündlichen Zusagen des Intendanten haben. Muss die Stadt dafür aufkommen? Falls ja, haben Intendant und Festspielverwaltung hier eine persönliche Haftung, so dass die Stadt den Intendanten möglicherweise sogar in Regress nehmen muss? Die abschließende Antwort auf diese Frage wird möglicherweise irgendwann ein Gericht treffen müssen.
In den Fraktionen besteht offenbar Konsens, dass für die nächste Saison zunächst das Festspielbudget 2021 zwischen Stadtverordnetenversammlung und Intendant geklärt sein muss. Hier ist Intendant richtigerweise aufgefordert, der Politik verschiedene Kalkulationen mit den entsprechenden Auswirkungen auf den Spielplan vorzulegen.
Es stellt sich aber die entscheidende Frage, wann die Stadtverordnetenversammlung das Budget für die Festspiele rechtswirksam festlegt, so dass der Intendant und die Verwaltung verbindliche Verträge abschließen können?
Der Intendant hat mir gegenüber klar formuliert (und ich teile seine Haltung), dass er keinen Spielplan kommuniziert, solange er das Budget nicht verbindlich kennt. Solange wird er auch keine (mündlichen) Verabredungen mit Künstlern treffen. Am wahrscheinlichsten ergibt sich aus meiner Sicht folgendes Szenario:
- Das Festspielbudget wird im Rahmen der Haushaltsberatungen vielleicht im De-zember 2020 beschlossen. Im März 2021 ist zudem noch Kommunalwahl. Es besteht ein Risiko, ob die Stadtverordnetenversammlung rechtzeitig einen Haushalt beschließt.
- Sind die Mittel damit aber tatsächlich disponibel oder muss möglicherweise bis zur Haushaltsgenehmigung (also vielleicht erst im März 2021) gewartet werden?
-- Somit ist davon auszugehen, dass in diesem Sommer kein Spielplan 2021 vorgestellt wird.
Selbst wenn wir mal davon ausgehen, dass das Budget tatsächlich im Dezember beschlossen wird und dann der Spielplan festgelegt werden kann: Erst dann kann der Intendant verbindliche Gespräche mit Künstlern führen, die sich erfahrungsgemäß einige Wochen hinziehen, bis alle Rollen besetzt sind.
Im Dezember stehen die guten und bekannten Schauspieler für den Sommer 2021 schon längst andernorts unter Vertrag. Der Intendant kann dann auf der „Resterampe“ sein Ensemble einsammeln.
Große Namen dürften somit für die 70. Jubiläumssaison nicht zu erwarten sein, was die Zugkraft für den Kartenverkauf nicht erhöht. Der könnte ohnehin erst nach Be-kanntgabe des Spielplans Ende Dezember starten. Damit ist das wichtige Weihnachtsgeschäft gelaufen.
Die Monate bis Dezember können nicht aktiv genutzt werden, da der Spielplan nicht besteht. Somit schrumpft die tatsächliche Vorbereitungszeit auf wenige Monate zusammen, was zwangsweise Auswirkungen auf die Qualität der Stücke hat.
Fazit: Nach diesem Szenario, welches ich für das wahrscheinlichste halte, sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche 70. Jubiläumssaison 2021 ausgesprochen schlecht. Es droht ein Debakel.
Ob sich die Festspiele unter diesen Rahmenbedingungen von einem Ausfalljahr und anschließend einem schwachen Jubiläumsjahr wieder erholen und zur wieder-gewonnenen Stärke der letzten vier bis fünf Jahre zurückkehren, bezweifle ich sehr.
Nun könnte ich mich zurücklehnen und sagen, genau davor warne ich seit Jahren. Hätten wir im September 2018 mal rechtzeitig die Ausgründung vorgenommen. Aber ich will mir nicht vorwerfen lassen, dass ich nicht wirklich alles probiert habe, um die Festspiele in ihrem Format mit überregionaler Bedeutung zu retten.
Ich sehe keinen anderen Ausweg als die gGmbH, um aus diesem ganzen Dilemma herauszukommen. Die Rechtsform-Änderung allein wird die - aufgrund der Corona-Pandemie - völlig unklare finanzielle Zukunft der Stadt nicht auflösen. Aber
- die Entscheidungshoheit über die Festspiele bleibt soweit wie möglich bei der Stadt, wenn die bisher freiwilligen Leistungen zu vertraglichen Verpflichtungen der Stadt gegenüber einer gGmbH werden.
- Über der Arbeitsfähigkeit der Festspiele schwebt derzeit, bei dem Festspielbudget als freiwilliger Leistung, nach dem eigentlichen Haushaltsbeschluss immer noch das „Damoklesschwert“, dass eine notwendige Haushaltsgenehmigung durch die Kommunalaufsicht nicht erteilt wird.
- Bei einer Festspiel-gGmbH bestünde mit einem Vertragsabschluss durch die Stadt für den Intendanten sofort Planungssicherheit, welche Finanzmittel ihm zur Verfügung stehen und welcher Spielplan damit umgesetzt werden kann. Eine solche Festspiel-gGmbH könnte durchaus schnell bis zum Herbst gegründet werden.
Wenn dann zukünftig ein solcher Vertrag idealerweise über mehrere Spielzeiten abgeschlossen würde, könnten günstigere Konditionen und längerfristige Abschlüsse mit Schauspielern, Technik-Anbietern und Dienstleistern umgesetzt werden. Frühe Planungssicherheit über mehrere Spielzeiten ist kostensparender als jährliche Neuverhandlungen „auf die letzte Minute“.
Jetzt in der Corona-Krise brauchen wir ein deutliches und mutiges Bekenntnis zu den Festspielen. Deshalb müssen nun zukunftsorientierte Entscheidungen getroffen werden, um die Festspiele nicht noch weiter der Krise zu opfern.
Ich empfehle schnellstens die Ausgründung in die gGmbH und die vertragliche Be-reitstellung der bisherigen 1,4 Mio. Euro für die Festspielsaison 2021.
Wenn wir diesen Weg jetzt nicht einschlagen, dann hört das jährliche Spiel mit dem Feuer nie auf und wird irgendwann unsere Förderer, Sponsoren und die Verantwortlichen vollends zermürben.
Welchen tatsächlichen Wert die Festspiele für die Stadt haben, werden wir alle dieses Jahr hautnah erleben.
Waren die Intendanzen Wedel/Hinkel das letzte Aufbäumen der Bad Hersfelder Festspiele, bevor sie nun in der provinziellen Bedeutungslosigkeit verschwinden?“