* 24. April 1765 in Meersburg
† 21. Januar 1842 in Mannheim
von Gerhard Kraft, den 17. April 2015
Aus der Heimatgeschichtlichen Beilage der Volkszeitung vom 15.04.1965 „Vergangenheit spricht zur Gegenwart“ Nr. 4, 18. Jahrgang entdeckte ich einen Artikel der zum 200. Geburtstag Lingg von Linggenfeld geschrieben wurde. Dieser Artikel, mit den Ergebnissen der eigenen Nachforschungen verknüpft, dient mir als Grundlage für die Erinnerungen zum 250. Geburtstag am 24. April 2015 und über das Leben von Johann Baptist Lingg von Linggenfeld.
Als Napoleons Schatten auch über dem Hessenland lag, stand einmal auch das Schicksal der Lullusstadt auf dem Spiel. Der 20. Februar 1807 ist als Schreckenstag im Bewusstsein aller Hersfelder verankert. Als ein Hauptereignis der Stadtgeschichte und als leuchtendes Beispiel des durchforschenden Volksbewusstseins in schwerer Zeit verdient die Lingg-Episode noch immer eine Würdigung und erst recht in diesen Tagen, da sich der Geburtstag des Retters Hersfelds zum 250. Male jährt.
Johann Baptiste Lingg, wurde am 24. April 1765 im damalige Gasthaus und heutige Hotel „Löwen“. zu Meersburg am Bodensee geboren. Eine am Eingangsbereich des Hotels angebrachte Gedenktafel, die im Laufe der Zeit ausgewechselt oder verändert und mit einer anderer Inschrift versehen wurde, erinnert an das Ereignis der Errettung der Stadt Hersfeld im Jahre 1807 durch Lingg von Linggenfeld.
Der Vater Johannes Georgius Linck, Gastwirt im „Löwen“, war kein gebürtiger Meersburger. Er wurde 1719 in Bömble bei Bregenz geboren. In der Mitte der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts erwarb er den „Löwen“ und das Bürgerecht der fürstbischöflichen Residenzstadt Meersburg. Am 12.September 1757 heiratete der junge Löwenwirt die aus Güttingen Landvogtei Thurgau stammende Johanna Maria Walpurga Lindau(in). Die Hochzeit fand in Meersburg statt. In der Ehe des Löwenwirtes wurden zwölf Kinder geboren: Maria Anna Elisabetha (*2. Juli 1759), Georg Anton Aloysius (Alois) (war später fürstbischöflicher Hofgärtner in Meersburg) (*24. Mai 1761), M. Johanna Thecla (*6. Januar 1763), Johannes Nepomuc (*23. Februar 1764), Johan Baptista Georgius Fidelis (*24. April 1765), Franciscus Josephus Casimirus (*20. Mai 1766), Maria Anna Crescentia (*1. Juli 1767), Maria Anna (*10. September 1768), Maria Elisabetha Crescentia (*10. Januar 1770), Franz Josephus Christophorus (*25. März 1771), Josephus Thaddaus (*27. Oktober 1772) und Johannes Georgius Antonius (*24. Juni 1774).
„Joann Baptista Georgius Fidelis Linck“, war das fünfte Kind der Eheleute Linck. Die Linck´schen Kinder hatten überwiegend Paten aus adligen Kreisen oder hohe Persönlichkeiten am Hofe des Fürstbischofs und Frauen aus den ersten Familien Meersburgs. Die Taufpaten von Joann Baptista Georgius Fidelis Linck waren der fürstbischöfliche Geheimrat Johann Kasimir von Blaicher (Casimirus de Blaicher) und Frau Josepha von Willsdorff geb. von Reitter (Maria Josepha Hauserin de Wilsdorff nata de Reitter) die Gattin eines Hofbeamten.
Johann Kasimir von Blaicher entstammte einem alten Ravensburger Patriziergeschlecht und war höchster Beamter der weltlichen Regierung des Hochstifts Konstanz. Die Grabplatte der ehemaligen Grabstätte mit den Wappen beider Eheleute versehen, ist noch heute auf dem Friedhof in Meersburg erhalten und in der dortigen Friedhofsmauer eingelassen.
Die militärische Laufbahn begann Lingg als 15jähriger Fähnrich, nach 22 Dienstjahren Major, 1806 in badischen Diensten Oberstleutnant.
Im alten Reich sah die historische Landkarte auch in unserem Raum ziemlich bunt aus. 1803 kam es zur großen ,,Flurbereinigung" durch den Korsen, wofür die Verluste der deutschen Fürsten auf dem an Frankreich abgetretenen linken Rheinufer Grund oder Vorwand abgaben. Der ,,Reichsdeputationsbeschluss" brachte der Landgrafschaft Hessen-Kassel geringe territoriale Gewinne und dazu die Kurwürde. Die vom Landgrafen seit langem erstrebte Rangerhöhung blieb freilich ein leerer Titel, denn der Kurfürst konnte sein Wahlrecht niemals ausüben, da schon drei Jahre später sich das Reich auflöste.
Der Kurfürst trat weder dem Rheinbund bei, noch schloss er sich Preußen an und erklärte in ziemlicher Verkennung seiner Lage die ,,bewaffnete Neutralität". Nach Jena und Auerstedt wurde Ende Oktober 1806 Hessen völkerrechtswidrig vom Sieger besetzt. General Lagrange zum Generalgouverneur ernannt. Das Land hatte eine hohe Kriegskontribution aufzubringen.Hersfeld wurde von allen kurhessischen Städten als erste besetzt, sein Regiment entwaffnet, und so stand in der Lullusstadt ein unfrohes Weihnachtsfest bevor, als am 24. Dezember eine italienische Infanterie-Kompagnie auf ihrem Marsch nach Kassel für eine Nacht einquartiert wurde. Die Bürgerschaft war in begreiflicher Erregung.
Beim Tuchbereitermeister Georg Adam Pforr in der Wallengasse kam es zu Tätlichkeiten mit dem Sergeant-Major Martinelli. Ein Grund war, dass Martinelli zunächst hartnäckig eine besondere Stube forderte, die ihm aber nicht gegeben werden konnte, da im ganzen Haus keine zu Verfügung stand. Auch soll er sich Unziemlichkeit gegen die Hausfrau erlaubt haben. Ungeachtet des jeweiligen Anlasses wurde jedenfalls der Sergeant gegenüber dem Gastgeber handgreiflich.
Pforr sah sich dazu genötigt, aus seinem Fenster um Hilfe zu rufen. Hierauf liefen die Nachbarn und nach und nach noch andere Bürger herbei. Es entstand ein großer Lärm. Mehrere vorübergehende Italiener kamen ihrem Kameraden zu Hilfe. Aus einem Handgemenge und Rauferei entstand ein Aufstand. Die Sturmglocke läutete, einige Italiener wurden misshandelt, auf dem Marktplatz fielen Schüsse. Einer aus dem Hause an der oberen Ecke der Webergasse, das dem Sattler Georg Seelig gehörte, der Unteroffizier bei der Garde des Kurfürsten gewesen war, tötete einen Italiener. Unter dessen Landsleuten gab es einige Verwundete. Obwohl diese sofort auf der Hauptwache verbunden wurden, war die Furcht berechtigt, dass nunmehr auch hessische Soldaten in die französische Armee gezwungen werden könnten.
Mit allen Kräften versuchte daher die Stadt, das geschehene Unheil wiedergutzumachen. Der Bürgermeister begab sich sofort mit dem italienischen Kapitän nach Kassel und bat den Generalgouverneur um Schonung der Stadt. Nach einiger Zeit bangen Wartens versprach Lagrange eine Amnestie.
Trotzdem rückte am 9. Januar 1807 General de Barbot mit 2500 Mann als Strafkommando in Hersfeld ein. Bürgermeister Georg Heinrich Schröder bat fußfällig um Gnade für die Stadt. Pforr und Seelig waren indessen geflüchtet, Seeligs Haus wurde geplündert und dem Erdboden gleichgemacht. Die Bürger hatten 5000 Taler, 5000 Paar Schuhe und 1000 Kapotröcke aufzubringen. Als de Barbot am 13. Januar abzog, blieb Oberstleutnant Lingg mit zwei Kompanien seiner badischen Jäger in der Stadt zurück. Er logierte am Hanfsack und verhielt sich human. Mit der Rückkehr de Barbots begannen jedoch neue Verhöre, und weitere Erpressungen folgten.
Bei einem Soldat namens Schüßler, der am Geschehen des 24. Dezember völlig unbeteiligt gewesen war, aber den Besitz eines französischen Gewehrs verheimlicht hatte, wurde des Mordes an dem Italiener verdächtigt und am 28. Januar vor dem Klaustor standrechtlich erschossen.
De Barbot besetzte am 18. Februar zum dritten Mal die Stadt. Napoleon, der damals sein Hauptquartier in Polen hatte und selbst kleinere Aufstände im Rücken seines Heeres für gefährlich hielt, zeigte sich ungehalten über die bisherige gelinde Strafe und befahl als Vergeltungsmaßnahme, Hersfeld zu plündern, sodann in der Mitte und an den vier Ecken anzuzünde und dabei jeden Löschversuch zu unterlassen. Sollten die Bürger erneut gegen Soldaten tätlich werden, sei nach Kriegsgebrauch mit der Waffe einzuschreiten.
Vor seinem Abmarsch übermittelte de Barbot dem amtierenden Bürgermeister und dem Stiftsbeamten diese Hiobsbotschaft. Mit der Ausführung der Exekution wurde Lingg beauftragt, der dadurch in einen Gewissenskonflikt zwischen seiner Pflicht als Soldat und seinem Empfinden als Deutscher und Christ geriet, jedoch eine Lösung fand, die dem Befehl Napoleons nachkam und trotzdem die Stadt rettete.
Lingg ließ seine Jäger auf dem Marktplatz vor dem Gasthaus ,,Stern" antreten, verlas die kaiserliche Order und fügte mit feierlichem Ernst hinzu: ,,Soldaten! Der Befehl zur Plünderung ist gegeben. Sie ist jedem von euch erlaubt. Wer dazu Lust verspürt, der trete vor und melde sich — ich hoffe aber nicht, dass ich in Zukunft eine Schar von Räubern statt biederer Deutscher befehligen soll." Nach einem Augenzeugenbericht folgte diesen Worten tiefe Stille, und danach meldete sich auch nicht ein einziger der Bauernsöhne aus dem Schwarzwald zur Plünderung.
Nun kam es, wohl im geheimen Einverständnis mit den Franzosen, zu einer Scheinexekution. Lingg ließ lediglich vier bzw. fünf abseits gelegene Häuser abbrennen, das Heu- und Strohmagazin am Stift, das bretterne Exerzierhaus neben dem Brauhaus am Markt, ein kleines Gebäude in der Nähe der heutigen Tuchfabrik Braun, und das Sondersiechenhaus an der Fuldabrücke. Ein erwähntes fünften Hauses, das ebenfalls angesteckt werden sollte, herrschte bisher Unklarheit. In einem Bittgesuch des damaligen badischen Jägers Sergeanten Beck ist ein „Magazin am Frauenthor“ erwähnt, welches ebenfalls in Brand gesteckt wurde.
Da der heftige Sturm der Nacht zuvor sich inzwischen wie durch ein Wunder gelegt hatte, fielen nur diese vier/fünf Häuser in der Glut zusammen, ohne die Stadt, die damals rund 600 Häuser hatte, ernstlich zu gefährden. De Barbot zog noch während der Exekution nach Kassel weiter. Die Lingg´schen Jäger marschierten durch die Weingasse und die Breitenstraße durch das Peterstor in Richtung Vacha ab. Die Hersfelder atmeten auf, versammelten sich zu einem Dankgottesdienst und schickten eine Deputation des Magistrats mit einem Dankschreiben nach Vacha. Lingg lehnte jeden Dank und jedes Geschenk ab, da ihm sein Verhalten nur selbstverständlich schien. Er bewirtete die Deputation, erlaubte, dass von ihm ein Portrat gemalt wurde und schenkte dieses der Stadt zum Andenken. Noch vor seinem Weitermarsch wurde ihm eine von Gymnasialprofessor Kraushaar gedichtete Dankeshymne der Hersfelder Bürgerschaft überreicht — als erste der zahlreichen literarischen Würdigungen seiner Tat.
Dass die Lullusstadt nur durch Lingg gerettet wurde, beweist die am 18. Februar 1807 an die Bewohner und Soldaten von Hessen gerichtete Proklamation des Generalgouverneurs Lagrange, die nachdrücklich, den ganzen Ernst der damaligen Situation offenbart.
Nachdem ihm bestimmt war, über Hersfelds Zukunft zu entscheiden, machte er in dem Rheinbundstaat unter der Fahne des fremden Eroberers noch die Feldzüge gegen Österreich und Preußen mit. Er kämpfte noch 1809 gegen Österreich, 1812 gegen Russland und wurde an der Beresina verwundet. 1807 zum Oberst befördert, 1810 zum Generalmajor und Chef des Bataillons, das seinen Namen erhielt, trat er 1813 als Generalleutnant in den Ruhestand. Zuvor hatte er Großherzog hatte dem General-Major Lingg die Stadtkommandantur von Freiburg übertragen. Die Stadt Freiburg überreichte ihm am 14. Februar 1812 den Ehrenbürgerbrief. 1819 verlieh Kurfürst Wilhelm I. dem Retter Hersfelds das Großkreuz des Hessischen Hausordens zum goldenen Löwen, 1827 Kurfürst Wilhelm II. ihm und seinen Nachkommen als ,,Lingg von Linggenfeld" den erblichen Adel, und im gleichen Jahre wurde dieser kurhessische Adel auch von Großherzog Ludwig von Baden anerkannt. Weitere Hohe Auszeichnungen und Tapferkeitsmedaillen wurden ihm zuteil.
So erhielt er 1820 das Diplom der Französischen Ehrenlegion. Bevor Lingg Freiburg am 15. Februar 1812 verließ, heiratete der 47jährig die 25jährige Adele von Gruau. Eine junge adlige Kreolin aus San Domingo, die er als Hofdame der Großherzogin seines Landesherrn kennengelernt hatte und die ihm drei Söhne und eine Tochter gebar. Die Tochter und der erste Sohn verstarben bereits in frühen Kinderjahren. Er lebte fortan mit seiner Frau und den beiden Söhnen Leopold Albert Franz und Carl Etienne Eduard in Mannheim.
Seine Ehefrau verstarb im Alter von 43 Jahre am 20. Juni 1834 in Mannheim. Lingg von Linggenfeld starb mit 76 Jahren am 21. Januar 1842 nach kurzem Krankenlager an einem Magenleiden. In seinem Testament bat er darum, dass bei seiner Leichenniederlegung mit wenigen Worten verkündet werden soll:“ ... dass ich mein Vaterland geliebt, dass ich meinem Fürsten ergeben, meine Dienstpflicht bei jeder Gelegenheit treu erfüllt, und dass ich meine Nebenmenschen wie mich selbst geliebt habe. Mit diesem Bewusstsein sterbe ich auch ohne Schuld, und stelle meinen Geist in Gottes Hand, so wie mein Leib der Erde, aus welcher er entstanden ist“.
Seine Grabstätte auf dem Mannheim Friedhof gehört zu den historischen Grabstätten. Die Mannheimer Friedhofsverwaltung hatte sich verpflichtet, die Grabstätte für alle Zeiten instand zu halten.
Selbstverständlich fühlte sich besonders die Lullusstadt für immer in Linggs Schuld, und bis zu seinem Tode brachen die Beziehungen zu ihm nie völlig ab, wie der Briefwechsel mit dem Magistrat bezeugt.
1819 übersandte ihm die Stadt das von ihrem Ehrenbürger Piderits geschriebene Büchlein ,,Denkwürdigkeiten von Hersfeld", für die Lingg sich mit ebenso herzlichen Worten bedankte, wie für die 146 Taler, die in der Lullusstadt gesammelt worden waren, als 1825 eine schreckliche Wasserflut in und um Mannheim großen Schaden angerichtet hatte. Kurz vor seinem Tode schenkte Lingg durch Vermittlung des Landgrafen Ernst von Hessen zu Philippsthal der Stadt seine Lithographie mit Widmung und Haarlocke. Durch seinen Enkel, der als letzter Nachkomme 1922 unverheiratet in Ungarn starb, kam das Stadtmuseum später noch in den Besitz anderer Familienbilder, Portrats, Orden, Urkunden, persönlicher Erinnerungsstücke und weiterer Dokumente über Lebenslauf und Dienstverhältnisse.
Als Lingg auf dem Mannheimer Hauptfriedhof zur letzten Ruhe geleitet wurde, war auch eine Deputation des Hersfelder Stadtrats unter dem Trauergefolge. Zur 50. Wiederkehr der Errettung der Stadt rief das Kurfürstliche Landratsamt zu einer Gedenkfeier auf, die mit einem Gedenkgottesdienst in der Kirche, sowie mit Feiern auf dem Marktplatz und im Rathaus sehr würdig verlief und abends mit einem Militärkonzert und mit Ballmusik ausklang. Fünf Jahre später, am 20. Februar 1862, führte die Honoratiorengesellschaft ,,Verein" zur Erinnerung an Lingg das Festspiel ,,Der Mann von Hersfeld" auf.
Schon im Jahre 1830 wurde in Hersfeld ein Ehrenmal für Lingg angeregt. August Rullmann, der Besitzer des ,,Industrie-Comptoirs", erlangte vom Kurfürsten die Erlaubnis zur Errichtung eines Denkmals auf dem Marktplatz. Er eröffnete eine Subskription darauf, für die sofort deutsche und ausländische Fürstlichkeiten zeichneten. Unter Leitung des Oberbaudirektors Bromeis in Kassel wurden Ausführungspläne entworfen, deren einer auch die Zustimmung des Kurfürsten fand. Als aber Rullmann nach Amerika auswanderte, schlief der Plan wieder ein. Am 24. Dezember 1836 erließ der damalige Landesbaumeister Leonhard Müller im ,,Hersfelder Intelligenzblatt" einen neuen Aufruf, und 1840, als Lingg der Stadt sein Bild geschenkt hatte, schaltete sich auch der Magistrat ein. Man dachte an einen Sandstein-Obelisken auf Treppenstufen zwischen Wache und Kirchtor, doch auch dieser Plan zerschlug sich, da der Kurfürst für ein Denkmal noch zu Linggs Lebzeiten nicht zu gewinnen war.
Nach Linggs Tod fehlte zunächst das für ein würdiges Denkmal notwendige Kapital. Erst zur 50. Wiederkehr seines Todesjahres erinnerte ein Hersfelder Bürger in der Hersfelder Zeitung wieder an den Plan, der sofort Widerhall fand. Man schrieb in Leserzuschriften von einer ,,Ehrenpflicht", und die Vereine der Stadt wetteiferten mit Aufführungen, deren Reingewinn dem Denkmalfonds zufloss. Sogar ehemalige Hersfelder, die in den Vereinigten Staaten eine neue Heimat gefunden hatten, schickten Geld über den Ozean. Die Stadt wählte einen Denkmalsausschuss, dem der Bürgermeister, der Bürgerausschussvorsteher, Mitglieder des Stadtrats und des Bürgerausschusses angehörten. Doch auch an Gegenstimmen fehlte es nicht, die das Projekt als zu teuer oder zu aufwendig kritisierten und ein Erneuerung der Stadtkirche für dringlicher hielten.
1893 beriet das Komitee über die Größe des Denkmals, über seinen Standort und den Zeitpunkt der Einweihung. Die Stadt stiftete einen Baufonds in Höhe von 4000 Mark und regte freiwillige Spenden an. Man dachte nunmehr an ein Bronzestandbild auf einem Granitsockel und rechnete für die Gesamtkosten mit 15 000 Mark, die zum großen Teil schon durch die Spendenaktion aufgebracht worden waren. Der Breslauer Bildhauer Felix Görling schuf das Modell, den Guss übernahm die Gladenbecksche Gießerei in Friedrichshagen, den Unterbau aus Granit lieferte die Firma Wölfel & Herold in Bayreuth.
Im September 1896 fundamentierte der Hersfelder Bauunternehmer Julius Noll das Denkmal, dessen Einzelteile unter lebhafter Anteilnahme der gesamten Bevölkerung von dem Steinmetzen R. Hankow aus Berlin aufgestellt wurden. Nach zweimaliger Termin-verschiebung war es am Sonntag, dem 8. November 1896, endlich soweit. Leider hatten der Großherzog von Baden und der einzige noch lebende Enkel Linggs Eduard, beide als Ehrengäste eingeladen, absagen müssen.
Trotz des trüben und nebligen Wetters war die Beteiligung der Bürgerschaft und der Landleute aus der Umgebung sehr stark. Fast alle Häuser der Stadt trugen Flaggenschmuck. Im Anschluss an den Festgottesdienst in der Stadtkirche begab man sich zum Denkmal vor dem Stift, wo man für eine angemessene Ausschmückung des Festplatzes gesorgt hatte. In einem weiten Halbkreis war er von Fahnenmasten mit Wappendekorationen eingesäumt, die miteinander durch Girlanden aus Tannengrün verbunden waren. Die Stadtkapelle stimmte mit dem Choral ,,Ein feste Burg" den feierlichen Akt ein. Nach einem Weihegesang der vereinigten Männergesangvereine sprach Bürgermeister Braun als Vorsitzender des Denkmalsausschusses.
Als die Hülle des Denkmals fiel, erklang vom Turm her die Festglocke. Stadtrat Karl Zickendraht nahm das Denkmal in die Obhut der Stadt und legte einen Lorbeerkranz mit rotweißer Schleife am Sockel nieder. Die Schleife trug in Golddruck die Widmung: „Dem Erretter ihrer Vaterstadt, Lingg von Linggenfeld — Die dankbaren Bürger Hersfelds." Mit Orchester- und Gesangsdarbietungen klang die Feierstunde würdig aus. Am offiziellen Festessen im großen Vereinssaal nahmen nahezu hundert Personen, teil, besonderen Jubel löste das Telegramm des Lingg-Enkels aus. Im Verlaufe des Nachmittags wurden die Armen, die Pfründner und die Hospitaliten auf Kosten der Stadt gespeist. Die abendliche Illumination des Denkmals litt leider unter dem anhaltenden Regen.
Beim Festkommers im ,,Stern" hielt Professor Philipp Hafner vom Gymnasium die Festrede, der wieder viele Toaste folgten. Seither gehört das Lingg-Denkmal zum Hersfelder Stadtbild. Die 2,5 Meter hohe Bronzefigur auf dem Renaissancesockel aus Granit zeigt den Retter Hersfelds im Überrock der badischen Jäger mit Feldbinde und York-Mantel und in hohen Stulpenstiefeln.Es fehlt hier der Raum, ebenso ausführlich aller weiteren Lingg-Ehrungen bis in unsere Zeit zu gedenken. Selbstverständlich wurde kein Gedenktag ausgelassen.
Einiges in Bad Hersfeld erinnerte oder erinnert noch an Johann Baptist Lingg von Linggenfeld. Einiges wurde nicht mehr fortgeführt oder ist aus dem Gedächtnis verschwunden.
So sei nur noch angemerkt:
· Das ein Lingg-Bild im Rathaus hing, befindet sich heute im Museum
· Das Haus, in dem Lingg im Hanfsack logierte, die ehemalige Gaststätte „Lingg-Klause“, eine Gedenktafel hat.
· Der Platz, an dem er zu seinen Jägern gesprochen hat, 1857 seinen Namen „Linggplatz“ erhielt. · Die Hersfelder Freimaurerloge nennt sich ,,Lingg zur Brudertreue",
· Auch einer der Hersfelder Heilbrunnen, bis 1964 in Betrieb, trug seinen Namen „Lingg-Brunnen“ und war neben dem Vitalis und Lullusbrunnen einer der Hersfelder Heilquellen.
· Die damalige Volksschule, heutige Grundschule im Geistal trägt mit „Linggschule“ seinen Namen. (vorher hatte man an die Namensgebung „Geistalschule“ gedacht, wie nun die jetzige Schule in Kalkobes heißt)
· Alljährlich am Todestag legte die Stadt Hersfeld bzw. der Hersfelder Bürgermeister am Grabmal einen Kranz nieder.
· Das Rettungsboot der Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG) in Bad Hersfeld trägt den Namen „Lingg von Linggenfeld“
· Auf der Amtskette des Bürgermeisters sind auf einem Kettenglied die Ereignisse vom 20. Februar 1807 dargestellt.
· Die Lingg-Drogerie wurde 1964 in der Johannesstraße 7 vom Drogist Johannes Hoffmann und seiner Frau eröffnet und bestand bis 1993 unter diesem Namen
· 1986 wurde ein Hotel unter dem Namen „Lingg-Hotel-Garni“ von Frau Dr. Bauduin eröffnet und wurde bis 2000 betrieben.
· In der Hitler-Jugend gab es in Hersfeld ein Fähnlein „Lingg“
· Der Stummfilm „Lingg von Linggenfeld“ wurde 1920 in der Stadt Hersfeld und Umgebung gedreht. 1935 mit Negativmaterial und Szenenfotos von der Stadt Hersfeld für 400 RM gekauft. Nach einer Restauration und Herstellung einer DVD im Jahr 2006 wurde der Film 2007 zur 200 Jahrfeier der Errettung Hersfelds im Kino und zum Jahreswechsel 2006/2007 auf dem Linggplatz gezeigt.
· Im Südwestrundfunk im Rahmen der Sendung „Aus unserer Heimat“ wurde unter dem Titel „Der höhere Befehl“ eine Erzählung über Lingg von Linggenfeld ausgestrahlt.
· Vor der Lingg-Ausstellung im Dezember 2006 erschien das Buch „Hersfeld in der napoleonischen Zeit und die Ereignisse um Lingg von Linggenfeld von 1806/07“ von Beate Schwarz und Gerhard Kraft. Das Buch ist noch über die Stadtverwaltung bzw. im Museum erhältlich.
Die Lingg-Episode, die für immer als markantes Ereignis in die Hersfelder Stadtgeschichte eingegangen ist, wurde oft literarisch behandelt, am gültigsten wohl von Johann Peter Hebel, dem ,,Kalendermann" des deutschen Volkes, steht sie doch als schlichter Bericht vom ,,Kommandanten und den badischen Jägern in Hersfeld" im ,,Schatzkästlein" des liebenswerten Poeten, das längst zum Haus- und Volksbuch geworden ist, und so ist die Tat des badischen Offiziers, der im Dienste des Korsen die soldatische und die menschliche Pflicht zu vereinen wusste, zu einer gesamtdeutschen Erinnerung geworden — tröstend und verpflichtend für alle Zeiten.
Zur Erinnerung an Johann Baptist Lingg von Linggenfeld ist vom 18. Oktober bis 22. November 2015 eine Lingg-Ausstellung im Kapitelsaal des städtischen Museum geplant. Dort kann außerdem der Lingg-Film angesehen oder die oben erwähnte Erzählung „Der höhere Befehl“ angehört werden. Der Termin wird noch gesondert bekanntgegeben.